Ein Klavier. Viele Klaviere

Lange Zeit war ein E-Piano für mich nur ein unbefriedigender Ersatz für den Fall, dass an einem Veranstaltungsort kein Klavier zur Verfügung stand. Darauf zu spielen, erlebte ich als wenig inspirierend. Wenn es stilistisch passend war, bevorzugte ich den Klang von einem Rhodes, aber alle Versuche, dem Klang eines echten Klaviers nahe zu kommen, blieben unbefriedigend.

Das ist eigentlich bis zum heutigen Tag so, auch wenn die Software-Klaviere enorm an Authentizität gewonnen haben. Seit einigen Jahren habe ich aufgehört, einem angeblich perfekten Imitat nachzulaufen. Ich mache aus der Not eine Tugend und versuche, die Vorteile, die ein Software-Instrument hat, besonders hervorzuheben und zu nutzen.

Klar, mein elektronisches Klavier wird nie so gut klingen wie ein echter Flügel. Doch die technologische Entwicklung erlaubt es mir dafür, mit dem Klang eines Klaviers kreativ zu arbeiten. Der große Vorteil eines Software-Instruments ist nämlich seine Veränderbarkeit. Das haben ja alle virtuellen Welten so an sich. Und so habe ich mir im Lauf der Jahre ein Software- und Hardwareset zusammengebaut, das es mir erlaubt, live und spontan auf viele Parameter eines Klaviers zuzugreifen:

  • Die Hammerhärte beeinflusst den „Biss“ des Klangs von weich bis perkussiv. Sie ist nun individuell veränderbar.
  • Das Umstimmen des Instruments dauert normalerweise Stunden. Nun wechsle ich, während ich spiele, zwischen barocken, orientalischen oder modernen mikrotonalen Stimmungen sowie eigenen Tunings (zu hören in diesen Improvisationen 1 und 2).
  • Der Gesamtzustand des Klaviers ist variabel. Mit der Bewegung eines Sliders verwandelt sich das Instrument nach und nach von einem neuen Flügel in einen alten Schepperkasten.
  • Die Resonanz-Eigenschaften, die Saitenlänge und andere Parameter können verändert werden – auch in Dimensionen, die bei einem realen Klavier nicht möglich sind.
  • U. v. m.

Das alles ermöglicht mir das Software-Instrument der Firma PianoTeq, die ich hier gerne und unbezahlt empfehle!

Noch mehr Klänge mit präpariertem Klavier

Die stets interessanten Möglichkeiten der Klangveränderung, die ein präpariertes Klavier bietet, sind im Musikeralltag schwer verfügbar. In aufwendiger Vorbereitung müssen diverse Gegenstände (Schrauben, Radiergummis, Wäscheklammern u.a.) sehr genau in die Saiten geklemmt werden. Daher ist es auch nur begrenzt möglich, innerhalb eines Konzertprogramms zwischen verschiedenen Präparierungen oder zwischen präpariertem und unverändertem Klavier zu wechseln.

Fotos:
Seitenanfang: gammelstaad, „Klarvier“, CC-Lizenz (BY 2.0), https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de
Präparierte Klaviere: https://www.br-klassik.de/video/praepariertes-klavier-musik-wissen-sabine-liebner-john-cage-100.html, https://garciarascon.wordpress.com/2012/03/21/piano-preparado/

Mein elektronisches präpariertes Klavier wird nie an die Klangqualität eines echten Flügels herankommen, aber da ich auf viele Parameter direkten Zugriff habe, verfüge ich nun über ein extrem flexibles Instrument:

  • Ein MIDI-Pedal ermöglicht den Wechsel zwischen einem unpräparierten und einem präparierten Klavier in Bruchteilen einer Sekunde.
  • Über ein zweites Pedal kann ebenso schnell zwischen Präparierungsarten gewechselt werden. Unzählige verschiedene Präparierungskombinationen können im Moment entstehen.
  • Je nach Pedalstellung lassen sich stufenlos Präparierungen zum normalen Klavierklang dazu mischen.
  • Mit einer kleinen zweiten Tastatur werden getrennt Klänge angesteuert.
  • U. v. m.

Basis dieses Instruments ist die Software des Instituts IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique), das eine aufwendige Sample-Bibliothek eines präparierten Klaviers erstellt hat, mittels derer man jeden einzelnen Klavierton mit zwei unterschiedlichen Präparierungen versehen kann: Schrauben, Radiergummis, Wäscheklammern, Folien u. a.
Diese Software habe ich mit dem unpräparierten Klavier von PianoTeq kombiniert. Auf diese Weise steht mir nun für Musikproduktionen ein sehr kreatives „Klavier“ zur Verfügung, das für Laien wahrscheinlich nur schwer von einem echten Klavier unterscheidbar ist, und dessen Parameter ich in seiner virtuellen Realität fließend verändern kann, wie in diesen kurzen Improvisationen zu hören ist:

Ein Cello spielt Klavier

Das ursprüngliche Problem, das mich überhaupt auf diesen Weg geführt hatte, war allerdings noch ungelöst: Auch wenn das Software-Instrument im Studio überzeugte, fühlte ich mich auf der Bühne nicht wohl, da ich nach wie vor ein sehr „distanziertes“ Klangerlebnis hatte. Wenn man vor einem Klavier sitzt, befindet man sich „im Klang“, bei einem elektronischen Instrument kommt der Sound aus einem Lautsprecher der Bühnen-P.A. Das Instrument selbst schwingt gar nicht, es stellt lediglich die Tastaturmechanik zur Verfügung. Das mag jetzt etwas spitzfindig wirken – auch mir wurde erst nach und nach bewusst, wie wichtig mir die Körperresonanz beim Musizieren ist. Mir fehlte der Korpus eines echten Instruments.
Doch wie kann ich meinem virtuellen Klavier einen echten Resonanzkasten verschaffen, ohne hunderte Kilos transportieren zu müssen?

Meine bisher zufriedenstellendste Antwort auf diese Frage lautet: Ich verwende ein Violoncello als Instrumentenkorpus, um mein virtuelles Klavier aus dem Laptop zum Klingen zu bringen. Das Cello ersetzt also die übliche Lautsprecherbox. (Nicht zu verwechseln: Es gibt keinen Lautsprecher im Cello, sondern das Cello selbst wird in Vibration versetzt.) Das funktioniert mit so genannten Soundtransducern oder Soundexcitern (dt.: „Schwingungsüberträger“). Klingt speziell, ist aber ein einfaches Prinzip, mit dem man unterschiedlichste Gegenstände und Materialien in Schwingung versetzen kann. Für mich hat sich nach längerem Experimentieren das Violoncello am Besten bewährt.

Das Klangergebnis unterscheidet sich von einem normalen Lautsprecher:

  • Das Cello strahlt in alle Richtungen seine Schallwellen ab (Vorder- und Rückseite haben einen eigenen Soundexciter), während im Lautsprecherbau meist auf eine fokussierte Schallrichtung geachtet wird.
  • Wenn das Violoncello vor mir steht, höre ich den gleichen Klang wie das Publikum und brauche keinen Kontrollmonitor mehr.
  • Der Klang ist nicht digital perfekt, aber sehr lebendig und warm, er ist „verortet“.

Last but not least: Nach ästhetischen Gesichtspunkten gewinnt die Optik eines Violoncellos gegen jede Lautsprecherbox …
Auch nicht ganz unwichtig: Ein Cello ist nicht so schwer wie eine Box.

P.S.: Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ein Cello ist natürlich nicht so laut wie ein Boxenturm, es erreicht lediglich die Lautstärke eines akustischen Klaviers.

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